Beschluss des SPD-Parteivorstands am 28. Januar 2019
Die SPD steht zur dualen Ausbildung und will sie stärken. Dieses System der Berufsausbildung hat sich nicht nur bewährt, es hat auch maßgeblich zum Wohlstand unserer Gesellschaft beigetragen, indem es Beschäftigte seit Jahrzehnten verlässlich und auf höchstem Niveau qualifiziert und die Grundlage für den beruflichen Aufstieg und ein gutes Einkommen bietet. Nicht zuletzt in der Finanz- und Wirtschaftskrise, die in erheblichen Teilen Europas zu massenhafter und teils nachhaltiger Jugendarbeitslosigkeit geführt hat, hat das duale Ausbildungssystem seine Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt.
Eine qualitativ hochwertige duale Ausbildung ist folglich keine großzügige staatliche Geste für Schönwetter-Zeiten, sondern Voraussetzung für gute Arbeit und Teilhabe am gesellschaftlichen Wohlstand. Dieses Versprechen will die SPD auch in Zeiten, in denen Digitalisierung und Spezialisierung die Ausbildung vielerorts verändern, erneuern und verbessern. Die gesetzlichen Grundlagen der dualen Ausbildung müssen sich deshalb auf der Höhe der Zeit bewegen, um den sich wandelnden Ansprüchen gerecht zu werden, bestmöglichen Schutz für die Auszubildenden zu bieten und den Ausbildern Sicherheit zu geben. Die Arbeitgeber müssen aber auch selbst tätig werden, um die Ausbildung wieder attraktiver zu machen.
Jede duale Ausbildung ist für uns gleichwertig zu einer akademischen Ausbildung. Dass viele junge Menschen das anders wahrnehmen, zeigt sich im fortwährenden Drängen in die Hochschulen. Sie nehmen eine duale Ausbildung oftmals als die schlechtere zweier Optionen wahr, was auch mit den teils erschreckend niedrigen Ausbildungsentschädigungen zu tun hat – insbesondere im Osten der Republik. Während der Ausbildung schrittweise auf eigenen Beinen zu stehen ist heute für viele von ihnen ein unerfüllbarer Wunsch.
Wir brauchen eine echte Offensive für die duale Ausbildung. Dazu gehört zuvorderst ein Mentalitätswechsel bei vielen Arbeitgebern. In Zeiten des Fachkräftemangels, der insbesondere viele klassische Ausbildungsberufe betrifft, müssen Unternehmen stärker um Auszubildende werben. Wer schlechte Ausbildungsorganisation, geringe Vergütung, Überstunden und ausbildungsfremde Tätigkeiten zu bieten hat, der wird auf dem Ausbildungsmarkt der Zukunft das Nachsehen haben. Sinkende Ausbildungsquoten, insbesondere bei vielen der DAX30 und anderen großen Unternehmen, sind ein Schlag ins Gesicht der Auszubildenden sowie vieler kleiner und mittlerer Unternehmen, unter ihnen viele Zulieferer. Kluge Unternehmenspolitik spart niemals an einer guten und nachhaltigen Ausbildung, sondern übernimmt Verantwortung. Nicht weniger erwarten wir von den Verantwortlichen.
Gleichzeitig wird auch die Politik Verantwortung übernehmen. Die Novellierung des Berufsbildungsgesetzes ist im Koalitionsvertrag vereinbart und überfällig. 1,5 Millionen Auszubildende in Deutschland sind die Fachkräfte der Zukunft und genießen unsere volle Solidarität, wenn es darum geht, bestmögliche Ausbildungsbedingungen zu garantieren. Sorgfalt geht dabei vor Schnelligkeit. Das novellierte Berufsbildungsgesetz (BBiG) muss Verbesserungen für Auszubildende bringen und darf niemanden schlechter stellen. Der Entwurf von Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) wird diesem Anspruch in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. Die SPD fordert CDU, CSU und die Ministerin auf, sich den notwendigen Änderungen nicht länger in den Weg zu stellen.
Auf eigenen Beinen stehen und am gesellschaftlichen Leben teilhaben – das ist das Ziel der Mindestausbildungsvergütung, die wir im Koalitionsvertrag durchgesetzt haben. Nach § 17 des Berufsbildungsgesetzes haben Ausbildende schon heute den Auszubildenden eine angemessene Vergütung zu gewähren. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes ist darunter eine Vergütung zu verstehen, die 80 Prozent der branchenspezifischen Tarifvergütung nicht unterschreitet. Diese Rechtsprechung, von der Azubis in Branchen mit guten Tarifverträgen profitieren, ist eine erste Errungenschaft und muss bei einer Novellierung des BBiG im Gesetz zwingend erhalten bleiben, damit jegliche Form der Schlechterstellung ausgeschlossen ist.
Eine Mindestvergütung darf demnach, wie auch der Mindestlohn, immer nur die absolute Untergrenze und Ausnahme sein. Der vorliegende Vorschlag des Bundesbildungsministeriums von 504 Euro im ersten Ausbildungsjahr und in den Folgejahren fünf, zehn und 15 Prozent mehr, ist nicht bedarfsgerecht, verbessert für kaum einen Auszubildenden die Lage und birgt die Gefahr von faktischen Verschlechterungen für viele Auszubildende. Außerdem soll die Mindestausbildungsvergütung dem Vorschlag nach an das Schülerinnen-Bafög gekoppelt werden. Das lehnen wir entschieden ab. Azubis sind keine Schülerinnen sondern Teil des Betriebspersonals und eine angemessene Ausbildungsvergütung ist keine Sozialleistung! Wir stehen an der Seite des DGB und der Gewerkschaftsjugend und die von ihm beschlossenen Forderungen. Profitieren würden wesentlich mehr Auszubildende als vom Karliczek-Vorschlag, insbesondere Auszubildende in Branchen ohne hinreichende Tarifbindung, in denen die Abbrecher*innenquoten, auch aufgrund der niedrigen Vergütung, erschreckend hoch sind. Die Mindestausbildungsvergütung ist für uns eine Brücke, solange nicht alle Auszubildenden unter dem Schutz starker Tarifverträge stehen.
Praktika im Rahmen von schulischen Ausbildungen sollten ebenfalls angemessen vergütet werden, da auch diese sich in der Berufsausbildung befindenden Praktikant*innen die Betriebsabläufe mit ihrer Arbeitskraft praktisch unterstützen.
Der Geltungsbereich des Berufsbildungsgesetzes muss auf das duale Studium, insbesondere auf die Praxisphasen ausgeweitet werden. Bislang gibt es keine einheitlichen gesetzlichen Regelungen für das duale Studium. Es fehlen verbindliche Schutzbestimmungen, Mindeststandards für die Betreuung und Vergütungsansprüche. Wir streben die Ausweitung des BBiG zu einem einheitlichen Ausbildungsgesetz an, das gleich gute Qualitätsstandards für unterschiedliche Ausbildungsformen sicherstellt. Der Geltungsbereich bzw. die Grundprinzipien des Berufsbildungsgesetzes müssen auch auf betrieblich-schulische Ausbildungen (z.B. in Pflege- und Gesundheitsberufen) ausgeweitet werden.
Wir stehen ohne Wenn und Aber zur drei-/dreieinhalbjährigen Berufsausbildung und sind weiterhin der Überzeugung, dass eine gute und qualifizierte Ausbildung zur/zum Facharbeiter*in Zeit braucht. Wir wollen junge Menschen bestmöglich qualifizieren und sie eben nicht in Hochgeschwindigkeit auf den Arbeitsmarkt drängen, wo sie anschließend oftmals ohne ernsthafte Aufstiegschancen bleiben. Die vom BMBF unterstützte Ausweitung der zweijährigen Berufsausbildung beeinträchtigt die Flexibilität und Durchlässigkeit des Berufsbildungssystems anstatt sie zu verbessern. Die Anforderungen des Arbeitsmarktes werden weiter steigen, damit geht eine deutliche Verschlechterung der Beschäftigungsmöglichkeiten für Geringqualifizierte einher. Eine grundsätzliche Verkürzung der Ausbildungsdauer von dreieinhalb auf drei Jahre und eine vermehrte Einführung von zweijährigen Ausbildungsberufen lehnen wir daher ab.
Wir fordern den Koalitionspartner und die Bundesbildungsministerin auf, sich den Interessen der Auszubildenden nicht länger zu verschließen und Vorschläge vorzulegen, die ihre Situation nachhaltig und rechtssicher verbessern. Die SPD steht an der Seite von 1,5 Millionen Auszubildenden.